Bericht vom evangelischen Kirchentag 2015 in Stuttgart
Ich fasse hier zusammen, was ich auf dem Kirchentag gesehen und gehört
habe. Die hier getätigten Äußerungen entsprechen nicht automatisch der Meinung
des Verfassers.
Zu den Veranstaltungen über Familie auf dem Kirchentag ist zu sagen,
dass sie allgemein eine Frage aufwerfen: Wer diskutiert in unserer Gesellschaft
über wen?
Sowohl das Podium und die Experten als auch der größte Teil der
Zuhörerschaft hatten ihre aktive Familienphase (mit Kindern bis zur Oberstufe)
längst hinter sich. Insgesamt wurde häufiger über Familien als mit Familien
geredet. Es wurden viele - für mich als Zuhörer nicht nachvollziehbare da weder
graphisch veranschaulicht noch mir vorliegend - Statistiken rauf und runter
zitiert.
Dies gilt im Übrigen nicht nur für Veranstaltungen des Kirchentages.
Dennoch konnte ich einige positive bzw. spannende Aspekte mitnehmen.
Podiumsdiskussion zum Thema: Chance und Scheitern – wie wird Familie neu buchstabiert?
Wohltuend war an dieser Veranstaltung zum einen, dass hier tatsächlich
Familienmenschen in unterschiedlichen Konstellationen (kinderreiche Familie,
Alleinerziehende, Patchworkfamilie, homosexuelle Beziehung) zu Wort kamen. Zum
anderen tat die Anwesenheit von Frau Familienministerin Schwesig als jüngste
Podiumsteilnehmerin gut, die noch dazu aufgrund des Kita-Streiks früher gehen
musste, damit sie die Betreuung ihrer Tochter sicherstellen konnte.
Essenz der Veranstaltung:
Es gibt eine Vielfalt an Beziehungs- und Familienformen, die von
Menschen gelebt werden und in denen Menschen nach eigener Überzeugung glücklich
werden können.
Grundprinzip aller dieser Formen ist die (bei Alleinerziehenden nicht
mehr vorhandende aber ersehnte) gegenseitige Liebe zweier Erwachsener Menschen
und deren Fürsorge (das soziologische Stichwort „Care“ viel hier oft) für bei
ihnen aufwachsendenKinder und deren Erziehung.
Im Grunde genommen orientieren sich somit all diese Lebensformen an der
klassischen Ehe zwischen Mann und Frau.
Nach einhelliger Meinung der Runde sind sie somit keine Gefahr, sondern
eher eine Bestätigung für das Lebensmodell „Ehe“.
Podiumsdiskussion zum Thema: Arbeitszeit + Familienzeit = Lebenszeit – Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf
Bei dieser Veranstaltung treffen die oben genannten Kritikpunkte
vollends zu. Es war eine Einbahnveranstaltung, auf der über die Betroffen
hinweg von nicht betroffenen älteren Menschen geredet wurde.
Essenz: Spannend war noch die Aufarbeitung des ersten Gleichstellungsberichts
der Bundesregierung durch Herrn Martin Rosowski, Hauptgeschäftsführer
Männerarbeit der EKD. Er stellte fest, dass der Bericht von seinem Ansatz her
das klassische Männerbild des Alleinverdieners und Ernährers der Familie vor
Augen hatte. Dementsprechend werden die Defizite der Umsetzung der Gleichstellung
einseitig bei den Frauen gesucht. Eigentlich müssten sie aber eher bei den
Männern gesucht werden.
Als politische Maßnahmen wurden dann die Abschaffung des Ehegattensplittings
zu Gunsten eines Kinderbezogenen Steuerausgleichs und eine Pflicht – Elternzeit
für Männer genannt.
An die Industrie wurde der Appell gerichtet, für eine
familienfreundliche Unternehmenskultur zu sorgen und die Vereinbarkeit von
Beruf und Familie in der Unternehmensplanung zu berücksichtigen.
Auch wurde angemerkt, dass Elternzeit von Seiten der Unternehmen fast
ausschließlich als Nachteil gewertet wird. Dabei wird übersehen, dass ein
Unternehmen auch von den Erfahrungen profitieren kann, die ein Mitarbeiter /
eine Mitarbeiterin in dieser Zeit gemacht hat.
Im weitesten Sinn zu diesem Thema habe ich das folgende Buch entdeckt:
Jesper Juul
Mann & Vater sein
Kreuz Verlag Freiburg
ISBN: 978-3-451-61044-8
Podiumsdiskussion mit Austausch zum Thema: macht Kinder froh und erwachsene ebenso – Evangelisches Familienzentrum. Mittendrin.
Hier war ein deutlicher Vorteil, dass man Vertreter/innen verschiedener
Familienzentren kennen lernen und mit ihnen ins Gespräch kommen konnte. Es
waren Familienzentren vertreten, die entweder an eine Pfarrei und / oder an
eine Kita angebunden waren. Eines entstand auch in Zusammenarbeit mit der
politischen Gemeinde.
Essenz: Von Kindergärten und Horten wird heute mehr erwartet, als diese
beim besten Willen leisten können. Über Erziehung und Bildung hinaus wird
Beratung, Seelsorge und Austausch als Bedürfnis der Eltern genannt. Das kann
aber nur geleistet werden, wenn eine KiTa zu einem Familienzentrum ausgebaut wird.
Und dafür braucht es eine hauptamtliche Kraft, die Projekte initiiert und Vernetzung
zwischen einzelnen Gruppen und Einrichtungen einer Gemeinde schafft.
Begegnungsabend zum Thema: Gottes Patchworkfamilie – schenken, schmecken, staunen
Eine Reise durch viele der christlichen Konfessionen, kabarettistisch
eingeleitet durch Wolfgang Bayer, der die typischen Marotten und Fettnäpfchen
der Konfessionen aufs Korn nahm.
Anschließend stellten sich Lutheraner, Katholiken, die Ausrichter der
Ökumenischen Kirchentage, syrisch Orthodoxe Kirche, Zwinglianer und Reformierte
vor.
Essenz: Nach wie vor wird viel zu oft betont, was uns voneinander
trennt. Der katholische Vertreter Detlef Stäbs, Domkapitular aus Rottenburg,
wiedersprach folgerichtig dem Titel „Patchworkfamilie“, denn das würde ja bedeuten,
dass wir aus unterschiedlichen Familien zusammengesetzt wären. In Wirklichkeit
aber seien wir doch alle Blutsverwandt, da wir alle aus dem gleichen Ursprung
heraus gewachsen seien.
Alois Glück vom ZDK betonte, dass man nicht so sehr bedauern sollte,
was noch nicht geht, sondern in freundschaftlicher Verbundenheit das machen
sollte, was machbar ist.
Zu diesem Thema passendes Buch:
Frére John von Taizè
Eine Gemeinschaft von Freunden
Verlag Neue Stadt
ISBN: 978-3-87996-963-0